TALGO: Ein spanischer Gliederzug

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Ralf
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TALGO: Ein spanischer Gliederzug

Beitrag von Ralf »

Hallo zusammen,

im vergangenen Urlaub bin ich mehrfach auf einen Zug gestoßen, der mich irgendwie verblüffte.
Einerseits war er derart auffällig (um nicht „hässlich“ zu sagen), das er nicht übersehen werden konnte,
andererseits bestach er bei eisenbahnkennerischem Blick durch die besondere Wagenaufhängung.
Leider habe ich nur ein WIKI-Bild (verlinkt):
Bild
verlinkt aus „wikimedia.org“

Als ich dann im Eisenbahnmuseum in Vilanova war, sah ich ein „Urexemplar“ dieses Zuges
und wusste damit, dass es wohl eine Geschichte dazu gibt. Und die möchte ich hier kurz erzählen.

Der TALGO ist ein spanisches Kürzel und bedeutet etwa „Gliederzug in Leichtbauweise nach Goicoechea und Oriol“.
Ein GLIEDERZUG wiederum ist ein Zug, dessen Einzeleinheiten nicht eigenständig fahrfähig sind,
sondern nur im Gesamtzug, also der Summe der Glieder.

Der Gedanke entstand in den 1930er-Jahren in Spanien: Man wollte für Schnellzüge auf den zum Teil
kurvenreichen Strecken Spaniens eine höhere Fahrgeschwindigkeit als mit den althergebrachten,
schweren Reisezugwagen erreichen. Das erforderte grundlegende Veränderungen in der Konstruktion:
kurze, tief liegende und in Leichtbauweise erstellte Wagenkästen mit einzelnen auf Stummelachsen
sitzenden Radpaaren sowie ergodynamische Ausrichtung.
Der erste Prototyp des TALGO I sah dann so aus und erreichte bei einer Testfahrt 1942 bereits 115, später 135 km/h.
Bild
verlinkt von „www.talgo.de"

Aufmerksam wurde ich auf die Wagengestelle, weil sie (wie beim LCE) nur an einer Seite Achsen haben.
Jeder Wagenkasten besitzt jeweils nur an einem Ende ein Fahrwerk, während sich das andere Ende auf den
Nachbarwagen abstützt. Nur der führende Endwagen verfügt über zwei Fahrwerke.
Bild

verlinkt von „www.talgo.de“

Hier sieht man die moderne Version eines Talgo-Pendular-Laufwerksportals vom TALGO 6 Wagen.
Der Wagenkasten stützt sich auf die Aluminiumsäulen über den Rädern ab. An deren oberen Ende sind die
Luftfedern zu erkennen, welche in den Bögen das Auspendeln der Wagenkästen ermöglichen.
Das Teil ist sogar umspurbar (Beschreibung auf www.talgo.de)!
Bild
verlinkt aus „wikimedia.org“

Wikipedia beschreibt die Vorteile dieser Konstruktion wie folgt:
Durch die kurzen Wagenkästen stellen
sich die Stummelachsen der Räder in den Bögen beinahe radial ein, so dass die Spurkränze im Vergleich zu
konventionellen Fahrzeugen weniger stark anlaufen und dadurch die Gleiskräfte kleiner werden.
Durch die gegenüber einem Drehgestell steifere Verbindung des Fahrwerks mit dem Wagenkasten
neigen die Talgozüge weniger zu unerwünschtem Sinuslauf was zusammen mit der geringen Wagenlänge bewirkt,
dass die Talgozüge außerordentlich leicht und ruhig durch Bögen rollen.
Weil das Drehgestell entfällt und die Fahrwerksteile zwischen den Wagenkästen untergebracht sind,
liegt der Fußboden wesentlich tiefer über den Schienen als bei konventionellen Wagen.
Neben einer tiefen Schwerpunktlage ergibt sich dadurch einNiederflureinstieg, was für die
damalige Zeit sensationell war.
Die Talgozüge sind gegenüber konventionellen Zügen wesentlich leichter. Dies rührt einerseits daher, dass das
Gewicht der Drehgestellrahmen, Achswellen und Seitenpuffer entfällt, rührt aber auch von dem kleineren
Querschnitt der Wagenkästen und den gleichmäßiger über den Zug verteilten Fahrwerken. Das geringere
Zuggewicht erlaubt bei gleicher Leistung der Lokomotiven höhere Fahrgeschwindigkeiten.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Talgo, 5.09.2009, 20.20Uhr

Die Nachteile muss man natürlich auch sehen: Es handelt sich hier um einen Gliederzug. Jedes Glied stützt sich
mit vollem Gewicht auf das nächste, so dass ein einfaches Entkuppeln nicht möglich ist, sondern nur in Spezialwerkstätten
erfolgen kann und so im Schadensfall die gesamte Zugeinheit ausfällt. Um dies zu verhindern,
fährt bei wichtigen Zugverbindungen immer ein Techniker von TALGO mit.

1950 erfolgte die Aufnahme des kommerziellen Fahrbetriebes mit dem TALGO II.
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verlinkt von „www.talgo.de“

Und hier kann man den TALGO II sehen, den es im Eisenbahnmuseum Vilanova zu bewundern gibt:
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Sehr schön kann man erkennen, dass die Wagenkästen sehr niedrig liegen, auch und gerade im Verhältnis zur Lokomotive. Ein (historischer) Prospekt beschreibt die Technik recht gut:
http://www.talgo.de/images/Historie/tal ... chuere.jpg

Im August 1964 begann der Schnellzugbetrieb zwischen Madrid und Barcelona mit dem TALGO III, wenig später der grenzüberschreitende Verkehr nach Paris.
Bild
verlinkt von „www.talgo.de“

Den Kopf des Zuges kann man im Eingangsbereich des Eisenbahnmuseums in Vilanova bewundern.
Bild

Und die Entwicklung des außergewöhnlichen Zuges ging sogar weiter. Er wurde in verschiedenen Ländern eingesetzt
und auf neueste Technik gebracht. 1990 wurde auf einem Rollenprüfstand in München die Fahrgeschwindigkeit
von 500 km/h simuliert, im Jahr 1994 erreichte ein TALGO PENDULAR bei Fahrversuchen in Deutschland 360 km/h.

Heute sind in zahlreichen Ländern dieser Welt (z.B. Spanien, Kanada, Frankreich, Schweiz, Italien, Portugal, Kasachstan) TALGO-Züge unterwegs, sogar bei AMTRAK.
Bild
verlinkt aus „wikimedia.org“

Und, haltet euch fest, TALGO-Züge gibt es auch in Deutschland:
Bild
verlinkt von „www.talgo.de"

Sogar die „Stiftung Warentest“ habe (nach Quelle TALGO) den Komfort der Wagen in ihrer Ausgabe 6/2000 gelobt:
„Das komfortabelste Schlafwagenabteil im Test [...] im DB Nachtzug der Bauart Talgo – mit ein
oder zwei Betten und eigener Dusche/WC. Empfehlenswert für Singles und Paare. Hoher Schlafkomfort,
da lange Betten und besonders laufruhig und leise.“
Quelle: http://www.talgo.de/Nachtzug.htm , 5.09.2009, 21.10 Uhr

Na dann, GUTE NACHT
Beste Grüße

Ralf
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Chris
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jo

Beitrag von Chris »

Hallo Ralf

Danke für den tollen Bericht. Wusste gar nicht das es so viele Versionen
von dem Ding gibt. Auf einem Bild sieht man sogar die spanische Breit-
spur.
Hier übrigens der Talgo der DB in München, der aber jetzt komplett ab-
gestellt werden soll:

Bild

Gruß Chris
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Dirk
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Beitrag von Dirk »

Jaja, der Talgo. Der ist in seinen "letzten Zügen" bei der DB im Dienst von CityNightLine zwischen Hamburg, Berlin und München. Inklusive Autotransportwagen hinten dran. Mitte Dezember ist der auf dem Abstellgleis - bei der DB. Die Talgozüge werden dann durch konventionelle Dosto Schlafwagen ersetzt.
http://www.citynightline.de/nachtzugrei ... algo.shtml

Ich hatte Glück und konnte den Ende Juli noch nutzen zwischen Hamburg und München. Allerdings aus kostenersparnis nur im Sitzwagen. Auch wenn die Nacht nicht soooo gut verlief wie so manche Fahrt im Nacht-ICE (Hamburg-Köln-Rheinstrecke-Basel) war es nochmal ein Erlebnis.

In Deutschland wird der Talgo aber von normalen Loks gezogen. Entweder einer BR101 oder einer MRCE Dispolok Taurus in schwarz.

Eine gleiche Bauart verkehrt auch noch zwischen Zürich und Barcelona als "Hotelzug".
http://www.elipsos.com/htm/default.htm?lang=5

A propos Nachtreise. Unter folgendem Link hab ich ein paar Bilder einer Reise Hamburg-München-Wien-Rom-Mailand-Zürich vom Ende Juli Anfang August. Den Talgo hab ich aber nicht geknipst.
http://www.flickr.com/photos/11252446@N ... 1800858431
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